Der Übergang vom Hörsaal in den Spitalalltag ist für Medizinstudierende ein entscheidender Moment: Die vertraute Umgebung der Universität weicht der klinischen Realität, und plötzlich stehen Patient:innen und Angehörige, Teamdynamiken und neue Verantwortlichkeiten im Zentrum. Viele Studierende erleben diese Phase als bereichernd, zugleich aber auch als herausfordernd.
Um Studierende in dieser Übergangszeit zu unterstützen, führt die Medizinische Fakultät der Universität Bern im Rahmen der Blockpraktika des 4. und 5. Studienjahres ein Coaching-Programm ein. Es bietet Raum für Reflexion, Orientierung und persönliche Entwicklung und fördert die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen, Werten und Zielen. Die Coaches, die diese Einzelcoachings durchführen, sind erfahrene Kliniker:innen. Das Programm wurde durch eine Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen von IML, Studiendekanat und der Studierendenschaft entwickelt.
Was Studierende brauchen – Ergebnisse des Needs Assessment
Im Vorfeld wurde ein Needs Assessment unter Studierenden des vierten Studienjahres durchgeführt. Das Ergebnis war eindeutig: Coaching wurde durchwegs als sinnvolle und gewünschte Ergänzung zum Curriculum eingeschätzt. Besonders häufig nannten die Befragten Themen wie den Umgang mit schwierigen Situationen, Work-Life-Balance, den Transfer von theoretischem Wissen in die Praxis sowie Fragen zur Karriereplanung und zum Wahlstudienjahr, bei welchen Bedarf für ein Coaching besteht. Diese Rückmeldungen bildeten die Grundlage für die Entwicklung dieses Coaching-Programms.
Strukturierte Reflexion als Lerninstrument
Zentraler Bestandteil des Coachings ist ein Reflexionsformular, das auf dem etablierten Modell des Reflexionszyklus nach Gibbs (1) basiert. Dieses Modell führt Schritt für Schritt durch die Auseinandersetzung mit einer konkreten, häufig herausfordernden Lernsituation: von der neutralen Beschreibung über Gefühle, Evaluation und Analyse bis hin zur Schlussfolgerung und einem konkreten Handlungsplan. So lernen Studierende, Erfahrungen systematisch zu reflektieren und daraus neue Strategien für zukünftige Situationen abzuleiten – eine Schlüsselkompetenz für die ärztliche Tätigkeit. Das Modell basiert auf der Theorie des erfahrungsbasierten Lernens, welche davon ausgeht, dass Lernen durch einen Zyklus aus Erfahrung, Reflexion, Schlussfolgerung und Anwendung entsteht. Entscheidend ist nicht nur das Erleben selbst, sondern vor allem die bewusste Verarbeitung dieser Erfahrung (2).
Ausblick
Nach der erfolgreichen Pilotphase im Jahr 2025 wird das Coaching-Programm ab 2026 schrittweise in die Blockpraktika integriert. Das Coaching-Programm soll Studierende in einer prägenden Phase des Studiums begleiten und sie auf ihrem Weg zur Ärztin oder zum Arzt unterstützen.
Referenzen
1. Gibbs, G. (1988) Learning by Doing: A guide to teaching and learning methods. Further Education Unit, Oxford Brookes University, Oxford
2. Kolb, D. A. (2015). Experiential Learning: Experience as the Source of Learning and Development. (2. Aufl.) Upper Saddle River, NJ: Pearson Education